Zuhören bei Demenz Inhaltsleer? Bedeutungsschwer!
Im aufmerksamen Zuhören und empathischen Einfühlen möchte ich verstehen, was Patientinnen und Patienten mitteilen, auch was zwischen Worten und Zeilen steht. Der Ernstfall der Kommunikation ist für mich dabei die Demenz.
Vor ein paar Tagen besuchte ich eine Frau. Es gehe ihr nicht gut. Sie sei seit Tagen bedrückt und noch verlorener als sonst. Vielleicht könne ich ihr ein wenig Gesellschaft leisten?
Ein menschliches Gesicht
«Gesellschaft leisten» – ein Codewort, denn Spiritualität und das «Gehalten- und Getragen-Sein» der Seele hat viel mit Verbundenheit zu tun. Menschlich und geistlich geborgen fühle ich mich, wenn ich weiss: Da ist jemand, der mich hört, ernst nimmt und dafür sorgt, dass ich nicht verloren gehe, auch wenn ich mich vielleicht selber mehr und mehr verliere. Ein menschliches Gegenüber kann mich manchmal sogar glauben lassen, dass da ein Himmel ist, der mich nicht vergisst…
Frau L. erkennt mich nicht, obwohl ich sie regelmässig besuche. Ich gehe auf sie zu, langsam, mimisch, mit ausgebreiteten Händen und grossen Augen: «Ahh! … Schöön!». Frau L’s Gesicht erhellt sich. Erkannt zu werden kann die Not des Nicht-Erkennens manchmal lindern… Ich sage ihren Namen, doch dann wird der Inhalt der Worte sekundär. Silben beginnen über Frau L’s Lippen zu plätschern. Ihre Not sucht sich einen Weg durch das steinige Bachbett der verminderten Wortfindung. Sie wird animiert. Mimisch versuche ich, ihren Bericht zu spiegeln. Zu-fühlen, und aus dem farbigen Faden der Erzählung ahnen, aus welchem Stoff ihr Leben ist. Einzelne Worte schälen sich heraus. «Genau!» sage ich als ich eines verstehe. «Sehr, sehr gut!». Man sagt, das Hirn hätte Mühe, negative Wörter positiv abzuspeichern. Ton und Rhythmus der Konversation verändern sich. Zufriedenheit scheint einzukehren. Dann sitzen wir da, silbenlos, im stillen Einvernehmen. «Es ist gut, dass wir hier sind!» sage ich schliesslich. Und deutlich kommt ein «Ja!» «Danke für dieses Gespräch! Darf ich Sie wieder besuchen?» Frau L. strahlt: «Jajajajaja, sicher!» Mein maskiertes Gesicht strahlt zurück.
Ich weiss nicht, was Frau L. beschäftigt hat. Aber ich möchte hoffen, dass sie spürt:
«Wir haben uns verstanden.»