Medizin & Seele

Impressionen Durst – seine spirituelle Bedeutung

Lic. Theol.
Sabine Bohnert
Sabine Bohnert
Durst – seine spirituelle Bedeutung
04. September 2024

Durst verweist auf die Bedürftigkeit des Menschen, sein Grundbedürfnis nach Nahrung und Wasser. Wasser ist lebensnotwendig. Ohne Wasser ist Überleben nur wenige Tage möglich. Durst kann gestillt werden, wie ein Baby gestillt wird. Wenn ich nicht mehr durstig bin, kann ich still werden und zur Ruhe kommen. Wenigstens für einige Zeit.

Interessant ist, dass es kein vergleichbares Wort wie «satt» in Bezug auf Durst gibt.

Wir haben immer Durst nach Leben, nach Sinn, Erfüllung, Liebe, Anerkennung… nach Gott. Was den Durst anbetrifft, werden wir anscheinend nie «satt».

In der Bibel heisst es: «Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott nach dir!» (Ps 42,2). Auch wird Gott als Quelle des Lebens bezeichnet: «Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.» (Ps 36,10).

Im Neuen Testament gibt es die Erzählung von einer Begegnung zwischen Jesus und einer Frau, die Wasser schöpfen will (Joh 4,5-15). Der müde Jesus, der am Brunnenrand sitzt, bitte die Frau, ihm Wasser zu geben, um wenig später der Frau zu erklären, dass er ihr lebendiges Wasser geben könne. Aus dieser einfachen Bitte um Wasser entwickelt sich ein verwirrendes Gespräch. Die Erzählung spielt mit einem zweifachen Verständnis von Durst, dem konkreten und dem spirituellen. Die Frau denkt bei «lebendigem» Wasser an eine Quelle und versteht zunächst nicht, was Jesus meint. Als es ihr klar wird, verlangt sie nach diesem lebendigen Wasser, das den tiefsten Durst, die Sehnsucht nach Leben stillt.

Mundtrockenheit

In palliativen Situationen wird immer wieder Mundtrockenheit zu einem Thema, ein Zeichen unstillbaren Durstes. Durst nach mehr Wasser und nach Leben manifestiert sich rasch mit diesem Gefühl der Mundtrockenheit.

Nicht mehr schlucken können – Ich kann Lebens-Mittel nicht mehr aufnehmen. Nicht mehr sprechen können – Ich kann mich mündlich nicht mehr mitteilen. Die Verbindung zur Aussenwelt reduziert sich deutlich. Die Lebenskräfte des Patienten ziehen sich ins Innere zurück.

Der Mund ist ein intimer Ort, sehr sensibel und empfindlich. Will nun der palliative Patient am Mund berührt und gepflegt werden? Was ist für ihn angenehm, was ist unangenehm?

Vielleicht kann eine gute Mundpflege in palliativen Situationen helfen, nicht nur die Mundtrockenheit zu lindern, sondern tiefer liegende Bedürfnisse nochmals äussern zu können. Vielleicht gelingt es mit guter Mundpflege, dass ein Mensch seine Bedürfnisse wieder oder nochmals äussern kann; dass er nochmals ein wichtiges Wort sprechen oder beten, Liebes sagen kann.

Mundtrockenheit im Lebensendstadium kann spirituell darauf verweisen, dass der Durst nach Leben nicht mehr irdisch gestillt werden kann und nur Gott, das lebendige Wasser, neues Leben schenken kann.

Sabine Bohnert